Guten Tag, ich bin Lydia Herms. Ich gehöre als Übersetzerin für Leichte Sprache zum Team von ABC-leicht. Ich arbeite seit vielen Jahren als Hörfunkjournalistin, Sprecherin und Moderatorin. 2020 habe ich meine Ausbildung als Übersetzerin für Leichte Sprache abgeschlossen. Meine Arbeit konzentriert sich seitdem vor allem auf die Moderation mehrerer Prüfgruppen in Berlin und Sachsen-Anhalt. Im Folgenden möchte ich Ihnen einen Einblick in diese Arbeit geben.

Was ist eine Prüfgruppe?

Übersetzungen in Leichte Sprache werden geprüft. Menschen mit Lernschwierigkeiten lesen die Übersetzungen von Anfang bis Ende durch. Und im besten Fall verstehen sie diese. Die Prüfung ist Grundprinzip bei Übersetzungen in Leichte Sprache. Sie entspricht dem Gedanken aus der Arbeit mit behinderten Menschen: „Nicht ohne uns über uns.“. Die Prüfung ist bereits in den frühesten Regelwerken für Leichte Sprache enthalten. Die in den 1970er Jahren in den USA gegründete Organisation „People First“ fand in den 1990ern ihren Weg nach Deutschland – und somit auch das Konzept „Easy Read“ und dessen Regelwerk. Das 2006 in Deutschland gegründete „Netzwerk Leichte Sprache“ schreibt die Prüfung durch mindestens zwei Menschen mit Lernschwierigkeiten vor. Wir prüfen jede Übersetzung in Leichte Sprache durch mindestens drei Personen. Der hohe Standard hat sich bewährt. Bei drei Prüferinnen und Prüfern ergeben sich Diskussionen untereinander und somit gute Ansätze, wie wir die Übersetzungen in Leichte Sprache noch verständlicher schreiben können.

Wir funktioniert Prüfgruppen-Moderation?

Zu unserem Qualitätsstandard gehört es, dass an jeder Übersetzung in Leichte Sprache zwei ausgebildete Fachkräfte nach dem Vier-Augen-Prinzip arbeiten. Das ist Bolko Bouché als Übersetzer für Leichte Sprache und das bin ich in der Rolle als Prüfgruppen-Moderatorin. Praktisch läuft die Prüfung einer Übersetzung in Leichte Sprache so ab: Die Gruppe sitzt mit mir am Tisch. Jede Prüferin, jeder Prüfer erhält den Text ausgedruckt. Dann liest ein Prüfer einen Abschnitt laut vor. Die anderen lesen leise mit. Es ist eine Prüfung auf verstehendes Lesen. Nach jedem Absatz stelle ich Fragen. Sie beziehen sich auf die gelesene Textstelle. Die Prüferinnen und Prüfer geben den Inhalt mit eigenen Worten wieder. Manchmal verstehen sie etwas nicht. Dann suchen wir gemeinsam eine bessere Lösung oder ich biete eine andere Formulierung in Leichter Sprache an. Manchmal passieren aber auch Lesefehler. Dann verändern wir den Textaufbau oder Satzzeichen. Alle Änderungswünsche und -vorschläge notiere ich in der Übersetzung und gebe sie nach der Prüfung zurück an den Übersetzer.

Genial sind solche Lösungen, die den Text glätten und vereinfachen, ohne auf Inhalte verzichten zu müssen. Inhalte sind wichtig. Auch für unsere Prüferinnen und Prüfer. Sie fühlen sich oft durch die Themen persönlich angesprochen und wollen ausführlich darüber diskutieren. Meine „Kunst“ als Moderatorin besteht auch darin, sie dann wieder zum Prüftext zurückzuholen. Prüfung ist Arbeit!

Unsere Prüfungen von Übersetzungen in Leichte Sprache finden nach Möglichkeit unter Realbedingungen statt. Wir bauen beispielsweise eine Dummy-Broschüre mit Text und Bildern oder prüfen Internettexte über PC und Handy. Oder wir machen Prüfungen vor Ort, zum Beispiel in einem Museum, für einen Audioguide in Leichter Sprache. Dann trage ich die Texte laut und langsam vor.

Wer sind unsere Prüfgruppen?

Unsere Prüferinnen und Prüfer sind in aller Regel Menschen mit Lernschwierigkeiten. Sie sind bei Werkstätten für Menschen mit Behinderungen fest angestellt. Wir arbeiten dafür mit dem Augustinuswerk e.V. in Lutherstadt Wittenberg und mit der Mosaik-Berlin gGmbH fest zusammen. Unsere Gruppenmitglieder wissen, dass sie mit der Prüfung von Übersetzungen in Leichte Sprache eine verantwortungsvolle Arbeit leisten. Sie sind sehr engagiert. Sie wollen zur Teilhabe anderer Menschen am gesellschaftlichen Leben beitragen. Das gelingt durch Übersetzungen in Leichte Sprache. Unsere Prüferinnen und Prüfer sind stolz darauf, daran einen Anteil zu haben.

Gibt es eine zielgruppengenaue Prüfung?

Die Nutzerinnen und Nutzer der Übersetzungen in Leichte Sprache sind keine feste Zielgruppe. Ihr Textverständnis hängt von vielen Faktoren ab, zum Beispiel von Vorkenntnissen und Interessen. Leichte Sprache ist ursprünglich für Menschen mit Lernschwierigkeiten gedacht, also für Menschen mit geistiger Behinderung. Sie ist aber auch eine Hilfe bei Sehbehinderung, für Menschen mit Demenz, bei nichtdeutscher Muttersprache und für viele andere Gruppen. Unsere Texte sollen genau von den Menschen verstanden werden, die unsere Kundinnen und Kunden erreichen wollen. Je genauer wir die Zielgruppe kennen, desto besser können wir Texte in Leichte Sprache übersetzen und auch prüfen. Unsere Kooperationspartner beschäftigen in ihren Werkstätten unterschiedlichsten Menschen mit unterschiedlicher Lesekompetenz. Wir sprechen mit den Werkstätten vorab darüber, welche Zielgruppe wir mit unserer Übersetzung in Leichte Sprache erreichen wollen. Sie versuchen dann, die passenden Prüferinnen und Prüfer zu finden.

Wie wird das Prüfergebnis genutzt?

Noch während der Prüfung mache ich auf dem Ausdruck handschriftlich Notizen, ganz klassisch, mit dem Stift. Zurück im Büro übertrage ich die Korrekturen gut les- und nachvollziehbar ins Digitale, also: am Rechner und direkt ins Manuskript der Übersetzung in Leichte Sprache. Dann füge ich Kommentare hinzu, zum Beispiel: Warum war etwas nicht logisch? Welche Informationen fehlten den Prüfern? Warum haben sie eine Formulierung missverstanden? Diese Informationen können hilfreich für die Rücksprache mit den Kundinnen und Kunden sein. Manchmal schlägt die Gruppe selbst Änderungen vor. Manchmal sind es kleine Anregungen, die eine Übersetzung in Leichte Sprache nochmals verständlicher und besser machen. Einige Male schon fanden die Änderungsvorschläge so viel Anklang bei unseren Kundinnen und Kunden, sodass sie auch einige Formulierungen ihrer standardsprachlichen Texte entsprechend verändert haben.

Bolko Bouché nutzt meine Kommentare zur finalen Textbearbeitung. Oft geben wir die Kommentare an die Kundinnen und Kunden weiter, oder wir schicken ihnen die Worddatei im Korrekturmodus. Somit ist gut nachvollziehbar, warum etwas geändert wurde. Die regelgerechte Prüfung und die Bezahlung der Prüfenden bestätigen wir unseren Kundinnen und Kunden mit einem Prüfzertifikat.

Die Hospitanz durch Kundinnen und Kunden bei einer Prüfung ist nach vorheriger Absprache mit der Prüfgruppe möglich.

Diese Transparenz kommt gut an. Bisweilen bekommen wir das Feedback, dass die Übersetzung in Leichte Sprache besser gelungen ist als das Original. War das nur nett? Vielleicht. Etwas Wahrheit ist bestimmt daran. Unsere Prüferinnen und Prüfer sind gründlich, kritisch und ehrlich. Sie sagen, was für sie geht, und was nicht. Für sie geht es um viel mehr als nur um einen „schönen“ Text. Für sie geht es darum, ohne Wenn und Aber teilhaben haben zu können.