Wie lässt sich Recht in Leichte Sprache übersetzen?

Gesetze, Verordnungen und Regeln bestimmen unseren Alltag. Menschen mit Lernschwierigkeiten suchen Antwort auf ihre Rechtsfragen, zum Beispiel zu Rente, Pflege oder Schwerbehinderung. Die Übersetzung in Leichte Sprache ist für sie eine wertvolle Hilfe. Aber wie kann Recht in Leichte Sprache übersetzt werden?

Texte für Juristen

Warum sind Gesetze eigentlich so schwer zu verstehen? Gesetze sind abstrakt, weil sie keinen konkreten Vorgang beschreiben. Sie müssen auf eine unendliche Zahl möglicher Fälle anwendbar sein. Menschen mit Lernschwierigkeiten brauchen aber anschauliche Beispiele.

Dazu kommt, dass Begriffe in der Rechtssprache nicht immer dieselbe Bedeutung haben wie im Alltag, zum Beispiel Eigentum und Besitz. Gesetzestexte richten sich an Juristen und Beamte. Für sie sind die Gesetze Entscheidungsgrundlage. Laien verstehen Gesetze nur, wenn sie sich intensiv damit beschäftigen. [1]  [2]

Rechtstexte für „Jedermann“

Jedermann-Texte sind in Standardsprache verfasst. Solche Rechtstexte ermöglichen es juristischen Laien, ihr Verhalten an Normen auszurichten. Sprachliche Präzision und Verständlichkeit sollen bei diesen Texten in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Vielfach schreiben juristische Laien an solchen Texten mit, zum Beispiel bei der Ortssatzung ihrer Kommune. Für das Schreiben dieser Texte hat das Bundesjustizministerium „allgemeine Hinweise“ veröffentlicht. [3]

Rechtstexte in Leichter Sprache

Die Bereitstellung von Informationen in Leichter Sprache ist im Bundesgleichstellungsgesetz (§ 11) geregelt. Demnach haben Menschen mit geistigen oder seelischen Behinderungen einen Anspruch auf angemessene Information. Bescheide, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtliche Verträge und Vordrucke sind „auf Verlangen“ in Leichter Sprache zu erläutern. Bund, Land und Kommunen sollen mehr Informationen in Leichter Sprache bereitstellen. [4]

Keine Übersetzungs-Pflicht für Gesetze

Die Forderung nach der Übersetzung von Gesetzestexten in Leichte Sprache wurde 2019 vom Bundestag nicht unterstützt. Der Petitionsausschuss verwies auf die bereits vorhandenen Erläuterungen zu Gesetzen auf den Seiten der Ministerien. Es gebe jedoch Bedarf, den Gebrauch von Leichter Sprache so auszubauen, dass Informationen auch für Menschen mit Behinderung gut verständlich und zugänglich sind.“ [5]

Für die Übersetzungen in Leichte Sprache geeignet sind:

  • Standardsprachliche Erläuterungen zu Gesetzen. Beispiele dafür findet man zu den Themen Patientenverfügungen oder zum Erbrecht.
  • Auszüge aus Gesetzen und Verordnungen, zum Beispiel die Verkehrsregeln aus der Straßenverkehrsordnung.
  • Regelwerke, zum Beispiel Ortssatzungen und Durchführungsbestimmungen oder Hausordnungen.
  • Ausfüllhilfen zu Formularen.

Grundsätzlich sollten Übersetzungen in Leichte Sprache dem standardsprachlichen Original möglichst genau entsprechen. Doch dabei kommt es manchmal zu Schwierigkeiten:

  • Der Originaltext setzt häufig Vorkenntnisse und Erfahrungen voraus, die Menschen mit Lernschwierigkeiten nicht haben. Das fehlende Wissen muss bei der Übersetzung in Leichte Sprache ergänzt werden.
  • Wenn der Nutzen des Textes beim Lesen nicht sofort erkennbar ist, dann stellen wir eine Einordnung voran. Zum Beispiel: Welche Vorteile habe ich durch den Schwerbehindertenausweis?
  • Rechtstexte enthalten zu viele Passivsätze. Handelnde Personen werden nicht oder nur abstrakt benannt. Zum Beispiel „Leistungserbringer“ oder „Erblasser“. Übersetzungen in Leichte Sprache leben von der Nennung handelnder Personen und aktiven Sätzen.
  • Subjekt und Prädikat stehen in Rechtstexten oftmals weit auseinander, für die Leser von Leichter Sprache zu weit. Sie „scannen“ Sätze nicht als Ganzes, sondern lesen Wort für Wort.
  • Der Satzbau in Rechtstexten ist vielgliedrig. Es gibt Schachtelsätze, zum Beispiel, um Sonderfälle auszuklammern.
  • Viele Fachbegriffe und Bezeichnungen können nicht übersetzt werden, aber sind wichtig und müssen erklärt werden. Solche Erläuterungen verlängern die Leichte-Sprache-Texte.

Übersetzungsstrategien

Übersetzungen in Leichte Sprache sollen möglichst genauso umfassend informieren wie der Text in Standardsprache. Bei einfachen Regelwerken, wie einer Hausordnung, ist das bei der Übersetzung in Leichte Sprache auch problemlos möglich.

Bei komplexen Sachverhalten kann die vollständige Übersetzung in Leichte Sprache sehr umfangreich werden. Das ist nicht im Sinne der Leser. Wir wägen bei unseren Übersetzungen in Leichte Sprache zwischen der Vollständigkeit der Information und der Nutzerfreundlichkeit ab.

Statt der vollständigen Darstellung eines juristischen Zusammenhangs kann die Übersetzung in Leichte Sprache auch als Einführung geschrieben werden. Zur Vertiefung wird auf den Text in Alltagssprache verwiesen. Leichte Sprache begegnet uns hier in der Brückenfunktion. Die Übersetzung in Leichte Sprache bietet einen ersten Überblick. Die Leser können – bei Bedarf mit Hilfe – einzelne Fragen im alltagssprachlichen Text vertiefen.

Aktiv statt passiv

Nebenaspekte dürfen bei Notwendigkeit ausgeklammert werden, zum Beispiel steuerliche Ausnahmefälle beim Thema Erben und Vererben. An der Stelle kann die Übersetzung in Leichte Sprache dann auf den alltagssprachlichen Text verweisen.

Rechtstexte sind passiv. Bei der Übersetzung in Leichte Sprache führen wir nach Möglichkeit aktive Personen ein, zum Beispiel bei der Patientenverfügung Eltern und Kinder.

Über die Strategie bei der Übersetzung in Leichte Sprache entscheidet letztlich der Auftraggeber. Dazu gehört die Frage, welche Aspekte weggelassen werden können und welche Fachbegriffe nötig sind. Als Übersetzer für Leichte Sprache berate ich gern dabei. Die Beratung bei den Übersetzungen in Leichte Sprache ist bei uns immer eine kostenfreie Leistung. [6]

Rechtssicherheit und Leichte Sprache

Übersetzungen in Leichte Sprache sind keine Gesetzestexte und in der Regel nicht rechtssicher. Vor Gericht sollten sie nicht für die Durchsetzung von Ansprüchen herangezogen werden. Darauf kann man im Leichte-Sprache-Text hinweisen.

Leichte Sprache ist eigentlich für Menschen mit einer geistigen Behinderung gedacht. Doch sie ist aus unterschiedlichsten Gründen für 30 Prozent der Erwachsenen in Deutschland eine wichtige Hilfe. Anwender Leichter Sprache unterschreiben Belehrungen, setzen Testamente auf und schließen Verträge ab. Dabei brauchen sie häufig Unterstützung. Mit einer Übersetzung in Leichte Sprache kommen Behörden und Unternehmen ihrer Verantwortung nach dem Behindertengleichstellungsgesetz nach. Sie gewinnen dadurch Rechtssicherheit und entlasten ihre Berater. Übersetzungen in Leichte Sprache ermöglichen einem großen Personenkreis den Zugang zu einem für sie wichtigen Rechtsgebiet. Damit trägt Leichte Sprache zur Bürgernähe von Verwaltungen bei und stärkt den Verbraucherschutz.

Letzte Aktualisierung: 11. April 2024


[1] Gerd Antos / Klaus Brinker / Wolfgang Heinemann / Sven F. Sager (Hrsg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft) Berlin/New York: de Gruyter, 2000, 658 – 675.© Dietrich Busse 2000

1. Textsorten, Textsortenmerkmale, Textfunktionen bei Rechtstexten – PDF Free Download (docplayer.org)

[2] Justizministerium NRW / Peter Dyrchs: Von der Entstehung der Gesetze und der Sprache https://www.justiz.nrw.de/BS/rechtskunde/bereich_schueler/briefe_an_passionara/briefe/Brief_009.pdf

[3] Bundesministerium für Justiz /Allgemeine Empfehlungen für das Formulieren von Rechtsvorschriften: http://hdr.bmj.de/page_b.1.html

[4] Behindertengleichstellungsgesetz: https://www.gesetze-im-internet.de/bgg/__11.html

[5] Deutscher Bundestag – Gesetzestexte in „Leichter Sprache“ Petitionen/Ausschuss – 01.04.2019 (hib 347/2019)

[6] ABC-Leicht Beratung Leichte Sprache

Kategorie: FAQ Leichte Sprache
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